3. April 2023

Der Rücktritt ist vom Tisch

Aaron Fara am Tag nach seinem Grand-Slam-Premierensieg in Antalya. Die Erleichterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Der vermeintliche Trainings-Weltmeister ist mit einem Schlag die Nr. 22 der Weltrangliste und im Olympia-Ranking auf Direkt-Qualfikationskurs für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. In drei Turnieren hat er zweimal auf Grand-Slam-Ebene angeschrieben: Silber in Taschkent, Gold in Antalya. Von den letzten 10 Kämpfen hat er neun mit Ippon vorzeitig gewonnen, den Großteil nach wenigen Sekunden.

Der 25-jährige Niederösterreicher (JC Wimpassing Sparkasse) ist merklich ruhiger geworden. Nach dem Aufwachen nimmt er sich „Zeit für Stille“, liest die Bibel. Der (frei evangelische) Glauben ist zum wichtigsten Begleiter geworden. Nach einem Jahr, das es wirklich in sich hatte. Auf der World Tour lief nichts. Traurige Bilanz: 6 Siege in 23 Kämpfen. Zu Hause bei den Faras jagte eine Hiobsbotschaft die andere. Mama Alexandra und Schwester Anna-Maria hatten heikle Operationen zu überstehen. Monatelang herrschte Ungewissheit über die Genesungschancen der beiden. „Das waren sehr harte Monate für meinen Papa und mich.“ 2023 begann dann – punkto Judo – auch nicht nach Wunsch. „Nach dem frühen Ausscheiden in Almada war ich am Ende. Ich wollte aufhören, hab‘ schon darüber nachgedacht, ins Ausland zu gehen und mir einfach irgendeinen Job zu suchen. Aber mit Judo war ich fertig!“ Nachsatz: „Ich weiß, ich hab‘ das öfters gesagt: Das ist mein letztes Turnier. Aber vor dem Grand-Slam in Taschkent habe ich es zu 100 Prozent ernst gemeint. In vier Jahren nur zwei zählbare Ergebnisse, dazu nicht auf höchstem Niveau. Das ist einfach zu wenig, das macht keinen Sinn mehr. Die vielen Niederlagen haben mich fertig gemacht.“

Jetzt sitzt er im Mirage Park Hotel von Antalya, mit der Goldmedaille in Griffweite, und kann sein Glück nicht fassen. Mirage (auf Englisch) steht für Fatamorgana oder Trugschluss. Aber Aaron Fara ist hellwach und in der Realität angekommen. Die nächsten Tage wird er in Antalya Dutzende Randori-Einheiten abspulen. Aber heute ist frei, von einer Handvoll Sieger-Interviews abgesehen.

4:17 Minuten Kampfzeit in fünf Runden. Fünf Siege mit Ippon, darunter gegen den Weltranglisten-Fünften Shady Elnahas (CAN). Dein Semifinal-Kampf hat 10 Sekunden, der Final-Kampf 27 Sekunden gedauert. War es ein perfekter Tag?

Aaron Fara: „Ich dachte mir zuletzt öfters: Hoffentlich war Taschkent, die Silbermedaille, keine Eintagsfliege. Aber am Wettkampftag war ich recht entspannt. Mir ist einfach alles aufgegangen. Ich habe zu 100 Prozent meinen Kampfstil durchgezogen. Je schneller ich einen Kampf entscheiden kann, desto besser. Ich bin keiner, der mit Waza-ari oder mit Hansoku-make gewinnen will. Länger hat nur das Viertelfinale gegen Shady (Elnahas/CAN/1) gedauert. Ich war mit Waza-ari in Front, hatte ihn im Festhaltegriff, aber er konnte sich lösen. Das hat mich komplett aus dem Konzept gebracht. Ich bekam Schnappatmung, mein Akku war leer, meine Hände fühlten sich an wie Beton. Aber selbst in diesen Sekunden war ich nicht wirklich in Gefahr, diesen Kampf zu verlieren. Das macht mich stolz, Shady ist eine große Nummer.“

Wie war diese Wende möglich – vom Trainingsweltmeister zum Grand-Slam-Sieger, zweifachen Medaillengewinner – und das innerhalb von wenigen Wochen?

„Das letzte Jahr, mit all den familiären Herausforderungen, hat mich menschlich geprägt. Die Religion, d.h. die freie evangelische Gemeinde, bestimmt mein Leben abseits vom Judo. Ich arbeite an meinem Charakter, bin ruhiger, aufmerksamer, wahrscheinlich auch verständnisvoller geworden. Und starker Alkohol ist tabu. Auf den Sport umgemünzt: Ich trainiere vielfältiger und härter, neuerdings auch Boxen. Ich bin so stark wie noch nie, nicht nur mental, sicher auch körperlich. Und auch eine Regeländerung hat mir geholfen: Man darf jetzt wieder mit beiden Händen den (gegnerischen) Griff lösen. Das kommt mir sicher entgegen.“

Wer hat dir am meisten geholfen, diesen Turn-Around in die Tat umzusetzen?

„Neben meiner Mama war Yvonne (Snir-Bönisch) wahrscheinlich die einzige, die noch an mich geglaubt und mir das auch immer wieder vermittelt hat. Ich muss überhaupt sagen: Wie sich in den letzten zwei Jahren unser Trainerteam positiv entwickelt hat, das kann sich auch international sehen lassen – wir haben mit Yvonne als Headcoach, Robert Krawczyk, Techniktrainer Hitoshi Kubo und nicht zu vergessen Unter-21-Coach Felipe Kitadai – absolute Top-Leute. Ich verlasse mich zu 100 Prozent auf ihre Vorgaben.“

Mit welchem Gefühl fährst du Anfang Mai zur WM nach Doha?

„Ich bleibe Realist. Aber natürlich werde ich mein Angriffs-Judo nicht ändern. Für mich ist es Neuland, mit so einem positiven Gefühl und so viel Selbstvertrauen zu einer WM zu fahren.“

Anmerkung am Rande: Für Aaron Fara ist es die fünfte WM-Teilnahme (allgemeine Klasse). Noch wartet er auf die erste Platzierung.

Copyright: IJF


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