12. April 2022

Judoka in Not

Sie kamen ausnahmslos alle, angeführt von Coach Quedjau Nhabili, Tel Aviv-Grand-Slam-Sieger Artem Lesiuk (-60) und WM-Bronzemedaillengewinner Yakiv Khammo (+100), um sich bei ÖJV-Präsident Martin Poiger persönlich zu bedanken. „Wir sind in diesen Tagen auf Hilfe von anderen angewiesen. Ein Teil von uns kam direkt aus dem Kriegsgebiet. Sie müssen die Geschehnisse erst langsam verarbeiten und einordnen. Das zweiwöchige Trainingslager in der Südstadt war für uns eine willkommene Abwechslung. Wir werden diese Hilfe nie vergessen“, betonte der ukrainische Nationaltrainer Quedjau Nhabili. „Wir haben versucht, ihnen alle Sorgen abzunehmen, von der Unterkunft über die Verpflegung bis hin zu den Trainingszeiten in der Südstadt und geeigneten Sparringpartnern. Auch das Wäschewaschen wurde erledigt – und das alles natürlich zum Nulltarif“, meinte Martin Poiger. „Der Judosport lebt vom respektvollem Umgang mit dem Konkurrenten. In Zeiten wie diesen gilt das natürlich auch für den Umgang abseits der Wettkämpfe. Ich habe den Ukrainern noch im Februar signalisiert, dass wir gerne und jederzeit helfen. Ende März kam dann ihr Anruf. Es ging um 14 Tage Aufenthalt. Jede andere Antwort als ein klares Ja wäre moralisch nicht vertretbar gewesen.“

Judo Austria bat den ÖJV-Präsidenten zum Abschluss des Trainingslagers in der Südstadt zum Kurz-Interview.

Wie kam’s konkret zu dieser Einladung? Und wie kann man dem ukrainischen Judoteam aktuell am besten helfen?

Martin Poiger: „Ich habe mich telefonisch bei einem der Team-Verantwortlichen erkundigt, ob sie schon konkrete Pläne für die nächsten Wochen haben und sie gleichzeitig eingeladen, bei Bedarf zu uns nach Österreich zu kommen… Was den zweiten Teil der Frage betrifft: Der ukrainische Verband benötigt zum einen finanzielle Hilfe – da ist eine Spenden-Aktion des Europäischen Verbandes angelaufen – und zum anderen brauchen sie Trainings- und Zufluchtsmöglichkeiten für ihre Top-AthletInnen und Coaches.“

Wie betroffen macht Dich diese Situation persönlich?

Poiger: „Nur zwei persönliche Beispiele aus meinem engsten beruflichen Umfeld: Eine meine Mitarbeiterinnen im EJU-Büro in Wien ist Ukrainerin, einer meiner engsten Kollegen im Exekutivkomitee sitzt in seinem Haus in Kiew fest und hat sich im Keller verschanzt. Wir telefonieren regelmäßig, die Anspannung und Angst ist jederzeit spürbar. Wenn du direkten Bezug zu Ukrainerinnen oder Ukrainern hast, geht dir diese Invasion wahrscheinlich noch näher als ohnehin. Die Geschichten, die sie dir erzählen, sind unvorstellbar und schaurig zugleich – sie machen mich betroffen… „

Was haben Dir die BetreuerInnen & AthletInnenen vor und nach dem Training erzählt?

Poiger: „Der WM-Dritte Yakiv Khammo wurde schon 2014 aus Donezk vertrieben, jetzt acht Jahre später ist er abermals auf der Flucht, diesmal musste er sein Haus in Kiew aufgeben. Der Coach des Teams hat gemeinsam mit Athleten und anderen Judo-Freunden alte Menschen betreut, ihnen die ersten drei Wochen nach Ausbruch des Krieges Essen und Medikamente besorgt. Sie haben unzählige Verwundete und Tote gesehen. Daneben versuchen alle, ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Der Teamarzt hat uns erzählt, dass sein neugebautes Haus völlig zerstört wurde.“

Wie geht’s mit dem ukrainischen Männer-Team in den nächsten Tagen und Wochen weiter?

Poiger: „Vom Bundessportzentrum Südstadt sind die Ukrainer nach Tata in Ungarn weitergereist. Dort findet aktuell ein internationales Trainingslager statt. Der Großteil des Teams kann nur bis zur EM Ende April in Sofia planen. Dann müssen sie wahrscheinlich ins Kriegsgebiet zurück. Nur die Top-Athleten, die an der Olympia-Qualifikation teilnehmen, bleiben von dieser Maßnahme verschont. Coach Nhabili weiß nicht, ob er im Mai noch Trainer ist und wieder nach Kiew zurückgeht. Das gilt auch für die Nachwuchs-Athleten. „

Wie wichtig ist in angesichts der Umstände der sportliche Erfolg?

Poiger: „Diese Frage habe ich Khammo und Lesiuk auch gestellt. Beide sagen: Wir wollen unsere Landsleute mit einer EM-Medaille stolz machen. Im Nachsatz heißt es dann: Viel wichtiger ist, dass der Krieg möglichst schnell ein Ende findet und ihre Angehörigen überleben.“


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